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Margit Zuckriegl - Berichte des Hellsehers

Fotograf ist er eigentlich nicht, auch kein Fotokünstler, aber die Fotografie spielt eine wichtige Rolle in seinem Werk und seinen prozessualen Inszenierungen. Das Bild als das Mittel des Visionärs ist eigentlich sein Medium; der fotografische Realitätsabdruck als Erinnerung an bestimmte Ereignisse ist der Bericht des Konstrukteurs, des vorausahnenden Hellsehers Werner Schrödl, der Dinge vorausplant, Begegnungen herbeiführt, traumwandlerisch Orte aufsucht und Wirklichkeiten herstellt, die sofort wieder im Nichts verschwinden, sich der Sphäre des Nicht-Existenten anverwandeln. Das Prekäre, Nicht-Fixierte, das unbefestigte Gelände ist das Terrain des Vorstellungsakteurs und klandestinen Saboteurs, zu dem Schrödl wurde, wie des Surrealisten Max Ernst’s Alter Ego, Wilhelm Leberecht Tempel[1]; diesem geriet „die widerrechtliche Ausübung der Astronomie“ zum empirischen Welterklärungsmodell fern von jedem Akademismus oder genretypischer Wissenschaftskategorisierung.

Werner Schrödl ist einer, der sich zwischen den Kunsttypologien hin- und herbewegt. Er ist weder von seiner Ausbildung her, noch im Zusammenhang mit seinen Inszenierungen den gängigen Schemata zuzuordnen; grenzt sein unbekümmertes Revoluzzertum an die bahnbrechenden Respektlosigkeiten der Dadaisten, setzen seine Interventionen das aktionistische Potenzial von Fluxuskünstlern fort, ist seine subtile Aufmerksamkeit für die Natur und ihre Störanfälligkeit gar eine neue Variante des Romantizismus? Ganz ohne diese Konnotationen ist sein Werk wohl nicht zu sehen, ganz allein mittels solcher Herleitungsstrategien vorgehen zu wollen, ist jedoch zu wenig. Nichts weniger als „ein Spiel mit der Welt“ erkennt Sabine B. Vogel[2] in seinen „temporären Skulpturen“, da es sich dabei um das Ausloten eines Möglichkeitsraumes handelt und nicht um ein Agieren auf Bühnen oder als Performance in Galerien.

Bilder sind die Ergebnisse dieser visionären Akte, sie sind die Berichte des Hellsehers, der vom bisher Nicht-Gesehenen angezogen, nach Formen und Formaten sucht, diesen ephemeren Erscheinungen Dauer und Gültigkeit zu verleihen. Nur bei ihm, in seinem bildgenerierenden Vorstellungslabor, laufen die gedanklichen und visuellen Stränge zusammen, aus denen sich flirrende Flitterregen über grünenden Hügelpolstern herabsenken können, oder eine glühende Eisenhütte im blauen Dämmerlicht rot erstrahlt. Wie in einer „unsterblichen Geschichte“[3] werden die Szenarien des Unmöglichen immer wieder von neuem geschildert, wird von seltsamen Begegnungen und unbemerkten Veränderungen erzählt: Schatten legen sich über sanftgeschwungene Felder  - es könnte ein Luftschiff[4] sein -, Wälder stehen am Rand des Wiesengrunds - plötzlich ist ein sich über die Gipfellinie erhebender Baumwipfel zu erkennen! Und nichts ist von Dauer, ein Moment, in dem der Atem stockt, ein Blitz im Innehalten - die Bilder sind wie Erinnerungen an etwas, das war, aber nicht zum Bleiben gedacht ist. 

Die Welt in einem Augenblick des labilen, fragilen Seins zu erfassen, etwas zu halten, was gleich wieder wegkippt, vielleicht nie im Lot ist, wahrscheinlich keine Möglichkeit des genauen Zuschauens bietet - Werner Schrödl arbeitet mit einem neu definierten Vokabular der optischen Täuschung und des Betrugs am selbstgefälligen Konstatierens: wie könnte es möglich sein, dass ein Alpenpanoramafoto einen super-blauen Wasserfall aufweist, dass ein bourgeoises Wohnzimmerinterieurs durch die Saugleistung eines Staubsaugers zusammengehalten wird? Von derartigen Täuschungsmanövern sprechen die Fotografien rund um Schrödls Inszenierungen, von derartigen Irritationen wird der Betrachter erschreckt, der sich trügerisch mit schnellem Blick auf altbekannte Bildmotive einlässt. Und all diese Fallen sind gebaute, hergestellte Wirklichkeiten, all die prekären Situationen, sind lang überlegtes Kalkül, sind Abarbeitungen an einem strapazierten Realismusbegriff, der zu nichts taugt, nicht einmal mehr dazu, Staunen auszulösen. Dem etwas entgegenzusetzen, heißt, mit neuen Metaphern für Wirklichkeit, die saturierten Sehgewohnheiten zu unterlaufen. In Schrödls Welt-Raum ist  die scheinbar so einfache Wirklichkeit derart komplex und kompliziert, dass substanzielle Eingriffe als Torpedierung des in sich verschachtelten Gefüges wahrgenommen werden. Hier berührt er nicht ganz unerwartet die absurden Welten der Surrealisten, vielleicht mehr die der Schreiber, als die der Bildner, vielleicht mehr die der tschechischen, als die der französischen Phantasten. Das nur scheinbar aufrechterhaltene Gleichgewicht verschiebt sich in deren opulenten Schilderungen in die Richtung einer Bedrohung, einer Gefährdung durch unbekannte Kräfte[5], in Richtung einer Gratwanderung entlang des Bewussten und des Geträumten. In diesem labilen Zustand zwischen Bewunderung und Bedrohung befindet sich auch der Revolver in Schrödls „loaded gun“- Objekt; eine geladene Pistole wird in einem Panzerglaskasten versiegelt: zerstörerisch, schön, distanziert, faszinierend und doch schrecklich und todbringend ist sie eine enigmatische Skulptur an der Bruchlinie von ästhetischen und existenziellen Parametern.

 

 

 

 



[1] Max Ernst, Maximiliana ou L’exercise illégal de l’Astronomie, 1964

[2] Sabine B. Vogel, Ein Spiel mit der Welt - Werner Schrödl temporäre Skulpturen, DVD, ….!!!!

[3] Jiří  Kratochvil, Unsterbliche Geschichte, Zürich, 2000

[4] In Kratochvils Roman kündigt sich ein solches mittels kleiner atmosphärischer Veränderungen an

[5] „Mir genügt nicht, was ich sehe“, meinte der tschechische Autor Karel Čapek einmal, „ ich möchte mehr wissen - und darum denke ich mir allen möglichen Kram aus“. In seinem Roman „Der Meteor“ von 1934 fällt ein Unbekannter vom Himmel, dessen Leben sich erst an der Schwelle zum Tod in vagen Bildern fassen lässt.